Wenn ich mich beobachte und dabei beobachte, dass ich mich beobachte, dann entsteht noch etwas, das über den reflexiven "blinden Fleck" hinausgeht: Das Bedürfnis, einen Weg zu finden, mich aktiv und unmittelbar selbst erfahren zu können. Indem ich mich selbst realisiere und dies synchron einer Beobachtung unterziehe, scheint aber der entscheidende Punkt der authentischen Selbsterfahrung verloren zu gehen, zumindest in dem Sinne, als ich mein "Ich" als etwas nicht Willkürliches, aber doch Gegebenes erfahren will. Dieses Paradoxon erwächst aus der Erkenntnis, dass ein wirkliches "Ich" nur dann realisiert werden kann, wenn es bereits in Frage gestellt wurde. (Das nicht hinterfragte Ich ist ein vorgegebenes Muster, welches der Fremdbestimmung unterworfen bleibt. Erst dort, wo das Ich eine freie Gestaltung ermöglicht, eine Entscheidung offeriert, die über die „natürlichen“ Rahmenbedingungen hinausgeht, kann man ihm auch zusprechen, durch sich selbst konstituiert bzw. geworden zu sein.) Es ist die Freiheit, nicht das zu sein, was der Erkenntnis des Seins vorausgeht.
Philosophie und Fiktion wurzeln gleichermaßen im menschlichen Grundbedürfnis nach Orientierung. Aufgrund seines eingeschränkten Erfassungsvermögens ist der Mensch evolutionär dazu gezwungen gewesen, eine Imaginationskraft auszubilden, die ihm das Spekulieren, Prognostizieren und Simulieren ermöglicht. Die Fiktion / Narration erweitert den Aspekt der Unterhaltung im Sinne von „Entertainment“, ist aber zugleich auch Unterhaltung im Sinne von „Kommunikation“. Narration ermöglicht die Verwendung von Metaphern, Symbolen und Allegorien, wodurch es den Menschen möglich wird, existentielle Aussagen über das Mensch-Sein zu treffen, die auf einer rein nüchtern-rationalen Ebene nicht vermittelbar wären. Dazu gehören u.a. Sinnstiftungen, Emotionen und Sehnsüchte.
Kommentare
Kommentar veröffentlichen