So wichtig das kritische Denken und Reflektieren auch ist – wenn ich einer philosophischen Lektüre wirklich Lesefrüchte abgewinnen möchte, dann ist es ratsam, mich zunächst einmal so vorbehaltlos wie möglich auf die fremde Gedankenwelt des Autors einzulassen. Ich muss ihm einen Vertrauensvorschuss geben, d.h. ich gehe bis zum Gegenbeweis davon aus, dass seine einzelnen Argumente, Schlussfolgerungen und Verweise am Ende ein kohärentes Ganzes ergeben werden. Oftmals wird erst im fortgeschrittenen Lesestadium deutlich, welche Lesart am besten funktioniert und welche Bedeutung bestimmte Begriffe für den Autor haben.
Philosophie und Fiktion wurzeln gleichermaßen im menschlichen Grundbedürfnis nach Orientierung. Aufgrund seines eingeschränkten Erfassungsvermögens ist der Mensch evolutionär dazu gezwungen gewesen, eine Imaginationskraft auszubilden, die ihm das Spekulieren, Prognostizieren und Simulieren ermöglicht. Die Fiktion / Narration erweitert den Aspekt der Unterhaltung im Sinne von „Entertainment“, ist aber zugleich auch Unterhaltung im Sinne von „Kommunikation“. Narration ermöglicht die Verwendung von Metaphern, Symbolen und Allegorien, wodurch es den Menschen möglich wird, existentielle Aussagen über das Mensch-Sein zu treffen, die auf einer rein nüchtern-rationalen Ebene nicht vermittelbar wären. Dazu gehören u.a. Sinnstiftungen, Emotionen und Sehnsüchte.
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